To my generation – Im Gespräch mit Irmtraud Mair (*)

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„Wiedergefunden“ habe ich Irmtraud über den Rundbrief im vergangenen Monat. Jahrzehntelang hatten wir keinen Kontakt miteinander.

Nun haben wir vereinbart – zumindest über Emails und meine Homepage – Gedanken  auszutauschen. Ein Dialog, der nicht nur jenen offenstehen soll, die – im weitesten Sinne  – zu „unserer Generation“ gehören. Nicht nur Großmüttern und Großvätern, sondern all jenen, die sich in ihrer Sehnsucht nach Freiheit und souveränem Leben mit unserer Geschichte verbunden fühlen.

„Wir hatten Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre nach Freiheit gerufen – waren Google und Facebook die einzige Antwort?“ – habe ich Irmtraud gefragt. War letztendlich das Scheitern dieser Freiheitsansprüche der 68er-Bewegung eine Folge der spirituellen Leere in dem sich geöffneten Freiheitsraum? Was bleibt übrig von all dem, was Südtirols „Frauen für Frieden“ in den achtziger Jahren gefordert hatten, in ihren Plakaten  „Zu viele Panzer – zu wenig Hirn“?

„Die Wüste wächst…“ und mit ihr die innere Leere, die Entfremdung vom Mensch-Sein; Verwüstungen in der stetig wachsenden Abhängigkeit von Smart-Phone und künstlicher Intelligenz. Gibt es Botschaften, die wir gerne den kommenden Generationen übermitteln möchten? Zum Begrünen der „Wüsten“? Welche?

Auf diese Fragen hin, hat mir Irmtraud einige ihrer Tagebuchaufzeichnungen geschickt.  Weitere werden folgen.

Nach und nach möchte ich diese auf dieser meiner Homepage-Seite mit euch teilen. Wer immer sich in diesen Dialog mit einbringen möchte, ist dazu herzlich eingeladen.

Tagebuchblatt vom 11. Juli 2023

Sie haben großes Glück gehabt, Frau Mair, sagte die Ärztin gestern. Sie hatten einen Herzinfarkt und haben ihn gut überstanden, denn Sie haben eine gute Konstitution. Sie können so weiterleben wie bisher. Vermeiden Sie Stress, Aufregung und Ärger!

Im Wartezimmer der Ärztin lag die Märzausgabe von brand1, „Was wenn wir alle 100 werden?“. Ich ließ das Magazin „mitgehen“, als ich ging, weil mir wegen dieses Titels das Herz im Leibe lachte. Mir wurden einmal 107 Jahre prophezeit. Möchte ich nicht. Ich möchte, so wie meine Mutter, nützlich sein bis ans Lebensende. Am Tag vor ihrem Tod hat sie noch für den Sohn und den Enkel Puschterer Niggilan in kochendem Öl gebacken. Und das heißt was! Sie hat zwei Weltkriege überlebt.

Ich möchte nicht einen dritten überleben. Ich möchte mit der ersten Rakete auf die TU Dortmund zugrunde gehen. Dazu habe ich jetzt die Chance, nicht nur weil wir einen knappen halben Kilometer von der TU entfernt wohnen, sondern weil wieder aufgerüstet wird und der Technologiepark sicher im Visier des Feindes ist. Der ukrainische Präsident sagt, dass er in der Ukraine die Freiheit Europas verteidigt, also auch meine. Will ich nicht! Seine Art der Verteidigung riskiert, dass meine geliebte Wahlheimat, Dortmund, dem Erdboden gleichgemacht wird, wie schon 1870/71 und im ersten und im zweiten Weltkrieg. Will ich nicht! Es gibt andere, gewaltlose Strategien!

Herzschmerzen macht es mir, an die Zehntausende von Frauen, Müttern, Kindern auf beiden Seiten der Front zu denken, die Mann, Sohn, Vater, Bruder, verloren haben und den Rest des Lebens mit der Traumatisierung zu tun haben.

Im Wartezimmer der Ärztin saß gestern Schulter an Schulter mit mir ein blasses blondes Mädchen. ‚Betriebswirtschaft an der FH hier in Dortmund‘, antwortete es auf meine Frage und dass es hier sei, weil es an Asthma leide. Ich wollte ihm gerade ein gutes Mittel gegen Asthma verklickern, nämlich Jodeln, das wegen seiner Oktavsprünge den Brustkorb weitet, da nahm mir weißhaarigen Alten eine Emanze das ‚unprofessionelle‘ Wort aus dem Mund: ‚Welche Richtung?‘ fragte sie ‚Gesundheit‘! Ja da sind sie richtig!‘

‚Ich kann ihnen Jodeln beibringen‘, sagte ich schnell, ‚wohne 500m von der FH, An der Palmweide 114, läuten Sie, wenn Sie vorbei kommen‘. Die Emanzipierte von gegenüber schaute mich mit einem Blick an der sagte: reif für die geschlossenen Anstalt.

Über vierzigtausend Studenten sind an der TU eingeschrieben, bunt wie der Planet. Keiner hebt den Blick von seinem Smartphone, wenn ich einen meiner neun Kompost-Häufen umsetze und die fruchtbare Erde siebe um sie zu verschenken. Keiner hebt den Blick oder sagt, wie vor zwanzig Jahren öfter passiert, was machen Sie da und – manchmal – darf ich helfen?

Andächtig beten sie den kleinen viereckigen Freund  in ihrer Hand an, oder ist es ein Götze, der Gott der Schnelligkeit zu dem sie beten? Marinetti, der Autor des futuristischen Manifests hat 1909 geschrieben, dass er die Zeit kommen sieht, in der die Schnelligkeit das Christentum (alle Menschen sind Brüder) ersetzten wird. Mir kommt vor, die Zeit ist jetzt da. Die Kirchturm hohen Antennen pfeifen es von allen Dächern: Schneller! Grösser! Höher!

Herzschmerzen bereiten mir die dem Leben entfremdeten Studenten, die erst merken, dass etwas nicht stimmt, wenn sie es im Smartphone lesen. Achtlos gehen sie an den mit Unkraut überwucherten Stufen zur KHG vorbei, dem Gebäude-Komplex das das katholische Paderborn an den Meistbietenden verkauft hat oder verkaufen will. Ein kleiner Kreis von Freunden, eine Handvoll Studenten würden genügen, um dem Rektor der TU nahezu legen, die Gebäude mit dem großen Grundstück der Universität einzuverleiben, und als Lernort für nachhaltige Landwirtschaft der Fakultät Chemie und Biologie anzugliedern. Eine Kuh für Barop!

Jetzt, im Hochsommer gleichen die Wiesen um die UNI einer Steppenlandschaft, Artenvielfalt gleich Null. Fleißig werden von ausländischen Arbeitern neue Glaspaläste hochgezogen. In den Pandemie-Zeiten waren die nahezu leeren Studentenwohnheime und Technologie Unternehmen Tag und Nacht von Security- Männern bewacht. Zitronen- und Bananenbäume u.a. sollten da drinnen wachsen und anderes exotischer Obst, anstatt es mit Flugzeugen umweltschädigend aus anderen Erdteilen hier auf den Markt zu holen, gut für das Klima und gut fürs Immunsystem. Würden anstatt Rasenmäher eine Kuh mit Kälbchen da grasen, die Übersterblichkeit in der Impfphase wäre geringer gewesen.

Neue Bauern braucht das Land, sagt Ophelia Nick in dem Buch mit diesem Titel. Ja, aber solche, die mit der Elektronik umgehen können, die die harte Arbeit erleichtert. Dazu braucht es die TU.

Herzschmerzen verursacht mir der Anblick von immer mehr jungen Frauen die in die Polizei und die Bundeswehr drängen, meistens um einen “sicheren“ Arbeitsplatz und ein sicheres Einkommen , anstatt sich für Selbstbestimmung durch Grundeinkommen stark zu machen.

Herzschmerzen verursacht mir der Gedanke an die vom Lock down traumatisierten Familien in den Nordstädten, anstatt sie, wie beim zweiten Weltkrieg aufs Land zu verschicken in die zu Hunderten leerstehenden Jugendhäuser und Hotels.

 

Und wozu braucht es jemand der wie ich auf die Hundert zugeht, liebe Frau Gabriele?

Ich bin der Spatz der mitten im Weg auf dem Rücken liegt und strampelt um das Himmelsgewölbe oben zu halten, das einzustürzen droht und zu dem der fragt ‚was machst du da‘ sagt: ich tu was ich kann! Ich tu was ich kann.

 

Ich bin die Schneeflocke, die mit der Friedensbotschaft vom Himmel segelt und irgendwo schmilzt. Aber beginnt nicht jede Lawine mit einer Flocke?

 

Ich bin das Zündholz, das für Sekunden aufflammt und in dunkler eisstarrender Winternacht die rettende Richtung zeigen kann, wenn Weg und Steg verloren.

 

Ich bin die Erbse unter der Matratze, die das Gewissen nicht einschlafen lässt  und –  alle alten Menschen mit mir. Das ist unsere Nützlichkeit. Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen um Ihnen, liebe Frau Gabriele (**), das zu schreiben.

 

Es grüßt

Irmtraud 

 

(*)Für all jene, die Irmtaud Mair nicht kennen, eine treffende Skizzierung, die Florian Kronbichler auf seiner Face-book-Seite im September 2017 veröffentlicht hat“.

„Die Irmtraud war Perpetuum mobile und Mutter Courage aller politisch kulturellen Initiativen des rebellischen Südtirols.
Ihr anarchisch revolutionäres Temperament ließ die junge Lehrerin zunächst für die Südtirol-Attentäter der 60er Jahre sympathisieren. Mit der „Bewegung“ wurde sie Poetin und Sängerin der „Arbeitersinggruppe“,zusammen mit Benno Simma, Evelyn Andergassen und Richard Menghin, die Südtirol-geerdete Variante der Liedermacher und Cantautori jener Zeit. Die atomare „Nachrüstung“ der Nato Ende der 70er lässt Irmtraud die Südtiroler „Frauen für Frieden“ gründen. In deren Namen kontaktiert sie die halbe Welt: den Vatikan, den Kreml, Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger.
Alexander Langer will sie zur Frontfrau seiner Bewegung für ein anderes Südtirol machen und in den Landtag bringen. Die institutionsscheue Jeanne d’Arc widersteht. Das „Wurzelweibele“ (Eigendefinition) wendet sich von der institutionellen Politik ab, mit der Ergrünung der Bewegung hat sie nichts mehr zu tun, grün war die Irmtraud immer schon. In der Schweiz bildet sie sich zur Waldorf-Lehrerin fort, dort lernt sie den wesensverwandten Helmuth kennen, zusammen zieht das Paar nach Dortmund. Sie heiraten und lehren dort.“

(**)Gabriele Fischer – Chefredakteurin der Zeitschrift brand1)

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